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Gespräch mit André Stahl am 30.03.2022

Wir haben Fragen gestellt, André Stahl hat geantwortet.

Ausführliche Fassung

 

1 Wann soll Bernau klimaneutral sein?

Ziel ist, dass wir bis 2030 klimaneutral sein wollen. Günstig ist, dass wir keine Industrie haben, damit entfällt ein großer Posten beim Energieverbrauch, den andere Städte haben. Bei uns kommen da nur der häusliche Bereich und der Bürobereich zum Tragen. Aber ich kann nicht einschätzen, ob es bis 2030 gelingt, weil die Rahmenbedingungen sich derzeit so schnell ändern. Es ist unmöglich, die Verfügbarkeit von Ressourcen, die Verlässlichkeit globaler Verkehrswege einzuschätzen. Die Lieferketten sind fragil und die Preise gehen hoch. Im Wesentlichen hängt davon die Machbarkeit ab, und natürlich auch von dem ökonomischen Wahnsinn, der da dranhängt. Sie bekommen zurzeit keinen Handwerker, denn die können Ihnen kein Angebot machen, weil Preise in einem halben Jahr ungewiss sind. Ich wage keine Prognose, wann man welche Ausbauziele erreichen kann. Der Rohstoff Stahl wird knapp. Solange der Ukraine-Konflikt nicht beigelegt ist, ist Planbarkeit nicht möglich. Bei Windkraft hingegen sind wir sehr weit, da sind inzwischen alle Flächen mit Windparks ausgestattet, wo dies möglich ist.

2 Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Hebel, um Klimaneutralität für Bernau zu erreichen?

Ganz klar: Da wir mit den Bernauer Stadtwerken selbst den Strom herstellen, ist der erste wichtige Hebel die Veränderung der eingesetzten Grundstoffe bei der Stromproduktion, hin zu erneuerbaren Energien. Das Gleiche gilt für die Wärmeversorgung. Drittens müssen wir bei den regenerativen Energien den Solarstrom weiter ausbauen – denn beim Wind sind wir wie gesagt schon relativ weit.

Welche Rolle spielt die Sanierung von Gebäuden?
Da sind wir im Wohnungsbestand im Prinzip einmal durch, außer in Bernau Süd, wo wir die noch nicht sanierten Gebäude aus DDR-Zeiten in den nächsten drei Jahren angehen werden.
 
 3 Wie würde sich die Verwaltung verändern?

Im Prinzip würde sich nicht viel ändern, aber die Mitarbeiter:innen bekommen andere Aufgaben. Denn: Was die Bautätigkeiten angeht, werden wir weniger expandieren, sondern eher vom Neubau in die Sanierung kommen, weil die Bevölkerung abnimmt. Das gilt auch für den Wohnungsbau. Statt im Nachbau von Wohnraum werden wir die Mitarbeiter:innen entsprechend verstärkt in der Sanierung einsetzen. In dem Zusammenhang möchte ich übrigens erwähnen: Es ist nicht angebracht, unbegrenzt Technik wie Lüftungs- und Klimaanlagen in einem Gebäude zu verbauen. Diese Geräte kosten Unmengen Energie und für die Energiebilanz muss man auch betrachten, dass der Generator hergestellt und hertransportiert werden musste – das muss man gesamthaft betrachten.

 

4 Wie sehen Sie die Rolle der Stadtwerke auf dem Weg zur Klimaneutralität für Bernau?

Sie spielen eine ganz entscheidende Rolle. Denn verfügen über die Produktion der Elektroenergie und unterhalten das Verteilnetz, und sie produzieren die Wärmeenergie und unterhalten auch hier das Verteilnetz. Das gleiche gilt für die Wobau, weil sie Eigentümerin von 4.500 Wohneinheiten ist, wobei ich den Stadtwerken noch mehr Bedeutung beimesse als der Wobau.

 

5 Wie muss sich die Mobilität verändern, wenn man weiter als 2030 guckt?

Auch das wird ganz stark von den Rahmenbedingungen abhängen. Wir haben bei Corona gesehen, dass plötzlich Sachen möglich waren, die vorher unvorstellbar waren. Wir haben beispielsweise hier im Rathaus innerhalb einer Woche dreiviertel aller Arbeitsplätze zu Homeoffice machen können. Das Mobilitätskonzept ist bis jetzt erst in der erste Stufe beschlossen, das heißt, es sind erstmal nur die Leitlinien verabschiedet. Das sieht man schon daran, dass bis jetzt alle mitgehen können, ich bin gespannt, wie das wird, wenn es dann an die konkreten Maßnahmen geht. Für mich gilt: Für jeden Neubau eines Stücks Verkehrsweg muss der Nachweis einer Notwendigkeit erbracht werden. Für eine große Umgehung wird die Notwendigkeit nicht bestehen. Wir haben mal geguckt, wie viele Leute die Stadt umgehen wollen. Das sind max. 30 ?? Prozent. Ich finde E-Moblititä nicht viel besser, das ist nur ein verlagerter Ressourcen-Verbrauch, aber letztlich auch Ressourcen-Verbrauch. Und auch die Herstellung des Autos verbraucht Energie. Der Schlüssel liegt im ÖPNV. Wir möchten bis 2025 die Buslinien verdoppeln, die Verkehrsleistung verdreifachen. Alle Hauptlinien sollen im 20-Minuten-Takt bedient werden. Ein leistungsfähiger ÖPNV geht bis in die Randzeiten, wir brauchen abends mindestens bis 22 Uhr eine relativ dichte Taktung.
 

Um wieviel Prozent kann man den Motorisierten Individualverkehr (MIV) reduzieren?
Es ist schwer da eine Schätzung abzugehen. Illusionstechnisch würde ich über die Ausweisung des Stadtrings in Einbahnstraßen nachdenken – aber dafür würde ich die Bevölkerung befragen. So eine Maßnahme würde den MIV beispielsweise auf die Ladestraße verlagern, während wir auf dem Ring mehr Platz für Fahrräder und andere Verkehrsteilnehmer gewinnen. Wenn ich von vornherein zwei Fahrspuren für den MIV habe, dann ist klar, dass für den Rest nicht mehr viel übrig ist. Aber für so eine Entscheidung sind die Stadtverordneten zuständig, und die Bevölkerung. Auf asphaltierten Strecken kann man Spuren für den Fahrradverkehr einrichten, das habe ich kürzlich etwa am Beispiel Soest gesehen. Vor fünf Jahren hat das Landesverkehrsministerium eine solche Maßnahme noch abgelehnt, jetzt ist das anders. Es ist psychologische Sache: Wenn da für das Fahrrad eine Spur vorgesehen ist, dann wird kein Autofahrer den Radfahrer weghupen.

Wie stehen Sie zu der geplanten Straße durch das Wohngebiet in Bernau-Süd bis zur xxx?

Da warten wir erstmal ab, was die Gutachten ergeben, da ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Es ist gut möglich, dass die Straße nicht gebaut wird.

 

Wie denken Sie über On-Demand-Verkehre, also kleine Busse, die per App jederzeit an jeden Ort gerufen werden können und Fahrgäste mit ähnlichen Routenwünschen zusammenbringen?
Die älteren Menschen werden sich da nicht umgewöhnen, ich denke, das ist eher etwas für uns Ältere von morgen.

6 Wie kann Partizipation aussehen? Wie wollen Sie die Bürger:innen in den Prozess der Klimaneutralität einbinden?

Ich bin Fan davon, Partizipation auf ganz breite Füße zu stellen, etwa über eine Bürgerbefragung. Man kann in Einzelfällen auch einen aktiven Beteiligungsprozess machen, aber der verzerrt das Bild dann doch. Sich aktiv in so eine Diskussion einzubringen, das kostet Zeit, und es ist einem Großteil der Bevölkerung fremd. Etwas anderes ist es, einen Zettel auszufüllen, wo man nur ankreuzen muss, ob man dafür oder dagegen ist – mit so etwas erreicht man eher breite Teile der Bevölkerung. Und: Meinungen ändern sich. Sie hätten mal vor zehn Jahren sagen sollen: Wir wollen die Innenstadt autofrei machen. Da wäre ich nie Bürgermeister geworden. Es gibt immer noch keine Mehrheit dafür, aber heute sehen das viele schon ganz anders. Vor allem die Jüngeren. Ein bestimmtes Mobilitätsverhalten ist einfach Gewohnheit. 

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André Stahl

Die Linke

Lars Stepniak-Bockelmann

SPD

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Die Basis

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BVB/Freie Wähler

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