
Gespräch mit Lars Stepniak-Bockelmann am 10.05.2022
Wir haben Fragen gestellt, Lars Stepniak-Bockelmann hat geantwortet.
Ausführliche Fassung
1 Wann soll Bernau klimaneutral sein?
2035.
2 Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Hebel, um Klimaneutralität für Bernau zu erreichen?
Es gibt große und kleine Maßnahmen. Eine Große Maßnahme ist die Energiewende, und dort vor allem die Wärmewende. Denn die Erzeugung von Wärme produziert die meisten Emissionen. Es betrifft aber auch Gebäudesanierung, Warmwasser. Hier haben wir es leichter als Städte mit einem hohen Energieverbrauch etwa durch Industrie. Wir müssen die Energieeffizienz der Gebäude verbessern. Wir brauchen Lösungen wie Nahwärmeinseln, Wärmepumpen, müssen gucken, ob wir klimaneutrale Quartiere entwickeln können.
Zum Thema Fernwärme: Muss es Hochwärme sein, kann es nicht Niedrigwärme sein? So etwas gehört in eine kommunale Wärmeplanung hinein. In anderen Ländern ist eine kommunale Wärmeplanung längst Pflicht, beispielsweise in Baden-Württemberg und Hamburg. Hier würde ich mir für Bernau eine Vorreiterrolle wünschen. Wir haben es viel einfacher als andere Kommunen, da die Wobau und die Stadtwerke mit am Tisch sitzen. Auch Begrünung und Solaranlagen auf Dächern und Fassaden sind wichtig. Das Problem ist, dass im Bestand nichts passiert ist. Bei einem gewissen Prozentsatz der Gebäude ist das aber möglich. Seit 2019 ist nichts passiert, bisher gibt es nur kleine Projekte. Ein Baum auf dem Bahnhofs-Vorplatz wird uns nicht die Wende bringen. Und wir müssen die Bürger:innen finanziell an Projekten wie Windkraft- oder Solaranlagen beteiligen, sodass sie auch etwas vom Gewinn haben. Der Ertrag muss vor Ort bleiben.
Die Wärmewende können wir nur auf lokaler Ebene umsetzen. Wir haben das Wissen vor Ort. Wichtig: Wir müssen Prozesse mit Kennzahlen hinterlegen, wir brauchen auch einen Klimaschutzbericht. Wir müssen unseren ökologischen Fußabdruck für Bernau berechnen, Treibhausgase, Energieverbrauch messen. Wir können nicht mit Bauchgefühl arbeiten. Beispiel Umgehungsstraße: 90 Prozent des Verkehrs in Bernau sind Quell- und Zielverkehr, d.h. die Menschen fahren entweder in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Eine Umgehungsstraße würde also nur zehn Prozent des Verkehrs wegnehmen. Das ist nicht nur ökologischer Nonsens, sondern auch verkehrstechnischer. Ein weiterer Hebel: Beim Hochbau müssen wir gucken, wie wir mit Rohstoffen wie Holz oder Hanfbeton es schaffen, dass wir auf Beton und Stahl möglichst verzichten. Beim Tiefbau müssen wir auf Pflaster umstellen, bei dem das Wasser versickern kann.
Zusammengefasst: Wir müssen den Energiebedarf reduzieren, wegkommen von der Kohle (leider war offenbar erst ein Krieg notwendig, um das zu erkennen) und die erneuerbaren Energien ausbauen. Wenn wir uns, wie die Stadtverordnetenversammlung fordert, an die 1.000-Meter-Abstandsregel halten, fallen Windeignungsgebiete weg.
3 Wie würde sich die Verwaltung verändern?
Die Verwaltung muss kulturell und organisatorisch auf diese Aufgaben vorbereitet werden. Sie braucht jemanden an der Spitze, der das auch vorlebt und überzeugt ist. Das für Bernau beschlossene Energiekonzept wird derzeit überhaupt nicht umgesetzt oder es wird nicht darüber informiert. Und: Wir brauchen nicht den einen Klimaschutzmanager. Sondern wir brauchen ein Team, das sich um diese Sachen kümmert. Es sollte im Baudezernat sitzen, wo die meisten Themen mit Auswirkungen auf das Klima angesiedelt sind. Wir brauchen eine nachhaltige Stadtentwicklung.
4 Wie sehen Sie die Rolle der Stadtwerke auf dem Weg zur Klimaneutralität für Bernau?
Die Wobau und die Stadtwerke sollen das unterstützen, was wir als Gesellschafter vorgeben. Das sind unsere Tochtergesellschaften. Der neue Vorsitzende der Stadtwerke soll ein sehr offener Mensch sein. Bei der Wobau ist der Servicegedanke meines Erachtens noch nicht so stark ausgeprägt. Das ist bei vielen Wohnungsbaugesellschaften so, weil sie meist die Marktmacht besitzen. Das sind beides unheimlich wichtige Akteure, die da mitziehen sollten.
Wie wollen Sie das erreichen?
Indem ich mit den Geschäftsführern und den jeweiligen Aufsichtsräten spreche. Ohne deren Unterstützung kommen wir nicht voran.
5 Wie muss sich die Mobilität verändern, wenn man weiter als 2030 guckt?
Im Mobilitätskonzept 2030 haben wir das Leitbild, aber es ist noch nicht so konsequent wie ich mir das vorstelle.
Fahrradfahren muss attraktiver werden, auch der ÖPNV muss enger getaktet sein, sonst nutzen die Leute ihn nicht. In Eberswalde ist es sexy Bus zu fahren, da fährt alle neun Minuten ein Bus. Die Linien und die Taktung müssen sinnvoll angelegt sein. Wichtig ist, dass die Leute dann beispielsweise auch ihre Bahn bekommen. Ich möchte da nicht vom Landkreis abhängig sein, sondern mich mal mit Leuten, die Bus fahren, zusammensetzen und gucken, wo man etwas verbessern kann. Das würde ich dann der BBG vorschlagen und dem Landkreis, der die Verkehre bestellt. Ich möchte, dass wir da eine aktive Rolle einnehmen und nicht darauf warten, was uns hingestellt wird.
Das Fahrradfahren muss auch innerstädtisch attraktiver werden. Die AG Radverkehr hat einen schönen Vorschlag gemacht: eine ausgewiesene Fahrradschnellroute von Bernau nach Schönow. Wir müssen das so attraktiv machen, dass die Leute von sich aus sagen: Ich nutze Fahrrad oder ÖPNV oder gehe zu Fuß. Dann haben wir weniger Autoverkehr, weniger Feinstaub (hier liegen wir über den gesetzlich vorgegebenen Grenzwerten) und weniger Unfalltote. Auf dieses Ziel würde auch Tempo 30 in der Innenstadt einzahlen. Ich würde mir wünschen, dass man das als Modell einfach mal probeweise durchzieht und dann nach einer Weile guckt, ob es funktioniert. Brüssel hat das gemacht, ein Jahr Tempo 30 auf allen innerstädtischen Strecken. Das Ergebnis: Die Schadstoffe sind zurückgegangen, der Verkehr lief flüssiger, die durchschnittlichen Fahrzeiten haben sich nur von 20 Minuten auf 22 Minuten erhöht.
Was ist mit dem Thema Parken?
Eigentlich ist es unattraktiv, mit dem Auto in die Bernauer Innenstadt zu fahren. Es gibt die Vision, dass wir irgendwann eine autofreie Stadt haben. Wenn dort nur für Fußgänger:innen unterwegs sind, dann wird auch der Einzelhandel belebt.
6 Wie kann Partizipation aussehen? Wie wollen Sie die Bürger:innen in den Prozess der Klimaneutralität einbinden?
Ich habe im Jahr 2012 den Bürgerhaushalt konzipiert. Die Möglichkeit, sich einzubringen muss niedrigschwellig werden, beispielsweise bei einem Brunch mit Kinderbetreuung oder Ähnlichem. Üblicherweise sind die Teilnehmenden bei Veranstaltungen zur Partizipation vor allem männlich, weiß und gebildet, und sie haben Zeit. Um die Teilhabe mehr Menschen zu ermöglichen, müssen wir die Angebote niedrigschwellig gestalten. Beim Eberswalder Bürgerbudget haben wir entschieden: Wir machen jetzt nicht nur Klick und Kreuz, sondern es gibt fünf Stimmtaler für jede Person ab 14 Jahren, die bei uns gemeldet ist, in der Halle steht für jeden gültigen Vorschlag eine Vase. Jetzt haben wir eine Onlineabstimmung, die genauso einfach ist. Das Wichtigste bei der Bürgerbeteiligung wird sein, analoge Formate, online und hybrid zu verbinden und die Ergebnisse da rauszufiltern.

André Stahl
Die Linke
Lars Stepniak-Bockelmann
SPD
Markus Brendel
Die Basis
Anette Kluth
BVB/Freie Wähler